Ein abenteuerlicher Ferientag – Bootsfahrt auf der Neiße von Günter Gebauer

Teilnehmer: Oma Monika (64), Opa Werner (69), Enkelin Karla (16), Enkelin Maria (7), Enkel Richard (5)

Lange vor dem Ereignis hatten wir uns mit dem Gedanken getragen, wie wir die verbleibenden zwei Ferienwochen erlebnisreich für unsere Enkelkinder gestalten können. Wichtig bei unseren Überlegungen war, dass wir uns in freier Natur in unserer näheren Heimat bewegen. Es sollte ein Höhepunkt werden, den wir alle bisher so noch nicht erlebten, der aber für jeden von uns gut zu meistern ist. Nach Internetrecherchen fiel unsere Wahl auf die Neiße-Bootsfahrt, die nach den Beschreibungen auch für Kinder gefahrlos bewältigt werden kann. Der Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland ist in der Regel ein ruhig dahin fließendes Gewässer mit vielen Untiefen und Sandbänken. Durch eingebaute kleine Wehre entstehen aber Stromschnellen, die den Pegel des Flusses anheben. Für unsere Erlebnistour wählten wir Donnerstag, den 20. August 2014, weil während dieser Zeit Karla ihre Ferien bei Oma und Opa verbrachte und Maria und Richard ihren familiären Sommerurlaub an der holländischen Nordsee hinter sich hatten.

Früh gegen 8:30 Uhr setzte sich der fünfköpfige Tross, gut ausgerüstet mit Wechselklamotten für feuchte Erlebnisse, Essen und Trinken, wettergerechter Kleidung, Kamera, Handy und anderen Utensilien mit Ziel Rothenburg/Neiße in Gang. Angemeldet waren wir bei der Neiße-Tours GmbH für eine 2-1/2-stündige Bootsfahrt. Alles verlief planmäßig: 9:30 Uhr waren wir am Ziel, schnell hatten wir die Bootsgebühr von 60,00 € entrichtet, die Belehrungen über uns ergehen lassen, bei den 2 Kleinen die Schwimmwesten angelegt und zum Startpunkt Zehntendorf Fahrt aufgenommen. Ein netter Lausitzer fuhr uns 5 mit seinem Kleinbus und 4 Schlauchbooten auf dem Hänger zur 10 km entfernten Bootsablegestelle. Alle gingen mutig und erwartungsvoll an Bord. Uns standen 4 Paddel zur Navigation des Bootes zur Verfügung. Karola, die „erfahrene Neiße-Boot-Skipperin“ sitzt im Bug, Maria und Oma Monika postieren sich Backbord bzw. Steuerbord und die männliche Crew nimmt im Heck Platz. Am Anfang mussten wir als ungeübte Wassersportler natürlich alle etwas Lehrgeld zahlen. Das Boot bewegte sich nicht immer in die Richtung, in die wir es treiben wollten. Manchmal drehten wir uns im Kreis, weil Bootsmann Richard das Paddel einfach so ins Wasser steckte. Das hatte zur Folge, dass sich unser Wasserfahrzeug trotz aller Bemühungen der übrigen Bootsleute oft im Linksdrall bewegte.

Die Neiße floss sehr gemächlich entlang der polnisch-deutschen Grenze. Bald hatten wir die Kulturinsel Einsiedel erreicht und fanden den dortigen mobilen Schwimmsteg besonders attraktiv. Immer gab es auch Unmut von Karola, die sich mit ihren Vorkenntnissen als Bootschefin fühlte, was aber vom Opa mit seinen Steuerkorrekturen und –hinweisen selten respektiert wurde. Die erste Flussschnelle zu überqueren war natürlich ein absolutes Gaudi, das Freudenschreie aller Teilnehmer auslöste. Der Appetit ließ nach den ersten Anstrengungen auch nicht lange auf sich warten, so dass schon während der Paddeltour die frischen Pausenbrote verdrückt wurden.

Das erste Malheur kündigte sich aber bereits an, weil Opa seinen Pflichten an Land nicht nachgekommen war. Das heißt, Opa musste pinkeln. Nichts leichter als das: Wir steuerten das seichte Ufer an, um Opa an Land gehen zu lassen. 4 Bootsleute manövrierten den Kahn mehr recht als schlecht ans Ufer, Opa erhob sich zum Bootsausstieg, so wie man das tut: ein Bein an Land, das andere noch im Boot. Da geschah das Unfassbare! Omi wollte die Schiffsposition noch etwas korrigieren, um Opas Landgang zu erleichtern. Das ganze Gegenteil war der Fall. Opa zog es die Beine auseinander, er verlor den Halt und stürzte in voller Montur rücklings in die Neiße. Patschnass kroch er ans Ufer und entledigte sich fluchend und schimpfend seiner nassen Klamotten. Pipi wurde natürlich auch in diesem Zustand verrichtet. Guter Rat war teuer, denn die Wechselkleidung für den Eventualfall befand sich 10 km flussabwärts im Auto. Handy und Kamera hatten ihren ersten Unterwassereinsatz hinter sich. So hieß es nun, bei reichlich Wind und 18°C Lufttemperatur (gefühlt 2 °C), ein paar Kleidungsstücke der übrigen Bootsbesatzung an Opas Körper
„anzubringen“, damit er die restliche Tour von ca. 1,5 Stunden noch einigermaßen „frostfrei“ überstehen konnte. Noch heute ist er allen dankbar für die unendliche Hilfsbereitschaft. Opa wurde immer trockener und die Paddelanstrengungen steigerten die Körpertemperatur. Kamera, Handy, nasse Kleidung und Geldbörse mit Scheinen und lebenswichtigen Karten aller Art wurden jetzt im Rucksack verstaut. Langsam verlief alles an Bord wieder spaßiger und spannender, da weitere Flussschnellen und Engstellen zu durchqueren waren. Wir paddelten durch herrliche, stille und unberührte Natur beiderseits der Neiße. Es war einfach für alle wunderschön!

Nach unserem mitgeführten Tourenplan näherten wir uns dem Stau einer Wasserkraftanlage. Für uns bedeutete dieses mächtige Hindernis: Alle Mann von Bord, das Boot mit den Utensilien an Land bringen und ca. 200 m am Wehr vorbei tragen. Dann über eine natürliche Landrutsche (Höhe ca. 5 m) wieder in die Neiße lassen – alles wahnsinnig aufregende Erlebnisse. Hier war Karola mit ihren Vorkenntnissen erneut gefragt, denn es ist nicht so ganz einfach, alle wieder im Boot und Wasser unter den Kiel zu bringen. Es gab viel zu diskutieren, aber alles wurde geschafft und nochmals nasse Kleidung blieb uns erspart.

Weiter verlief die romantische Paddeltour und wir hatten zumindest auf dem Routenplan unser Ziel vor Augen. Noch gab es aber eine weitere Flussschwelle zu überwinden, auf deren Besonderheiten wir vom Tourpersonal bereits am Start hingewiesen wurden. Um die Schwelle (ca. 100 m breit, 2 m hoch) sicher zu überfahren, musste man wegen der nicht ausreichenden Wasserführung der Neiße die Stelle mit dem Boot treffen, die durch 2 Bojen begrenzt war. Besonnen peilten wir exakt die Durchfahrtsstelle an, aber durch die unterschiedlichen Steuermanöver im Bug (Karola) und Heck (Opa) sowie die weiteren individuelle Paddelschläge von den Bootsbeileuten Maria, Oma und Richard geriet unser Boot auf die falsche Bahn – es ging seitlich an den Bojen vorbei – und, wir hingen auf der Schwellenkrone mit leichter Bootsneigung nach vorn fest! Soweit so gut, man kann sich ja mit den Paddeln so abstoßen, dass man wieder Fahrt aufnimmt. Die Hoffnung schlug fehl. Das Boot füllte sich plötzlich mit Wasser. Opa schrie: „Unser Boot ist leck“, Maria und Richard schrien um Hilfe nach ihrer Mama und Karola heulte um ihr abgesoffenes, vermeintlich total geschädigtes Handy. Nun gab es nur ein Ziel: Das lecke Boot verlassen und so schnell wie möglich an Land. Als erste verließ Oma Monika das Wrack, natürlich unter Mitnahme des Rucksacks mit dem so wichtigen Inhalt. Die Panik der verbliebenen Bootsleute steigerte sich ins Unermessliche. Doch was jetzt passierte war grauenhaft: Monika verlor auf dem glitschigen Gestein der Stromschnelle den Halt und versank kopfüber in den Fluten, konnte sich aber wieder aufrappeln und pudelnass an Land schleichen. Verloren war der Rucksack; er trieb mit der Strömung immer weiter Fluss abwärts. Omas Versuch, dem Rucksack an Land nachzulaufen, war vergebens. Sie kam unverrichteter Dinge wieder zur Mannschaft zurück.

In dieser Zeit konnten Opa und Karola unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte das Boot mit den verzweifelten Kindern Maria und Richard von der Krone des Hindernisses Schritt für Schritt an Land ziehen. Es war eine reine Nervenschlacht, auch weil Karola das wesentliche Problem im möglichen Verlust ihres Handys sah. Für Opa gab es nur ein Ziel: Die zwei Kleinen unversehrt an Land zu hieven, was ihm unter großer Kraftanstrengung und gutem Balancegefühl auch gelang. Trotz Rucksackverlust mit wichtigem Inhalt und nochmaliger Durchfeuchtung waren Oma und Opa heilfroh, dass alle unversehrt wieder beisammen waren. Außer den vollgelaufenen Gummistiefeln, die zum Barfuß gehen zwangen und der Einbuße des Rucksacks mit Inhalt (Opas nasse Kleidung aus Zwischenfall 1, Geldbörse mit kompletten Inhalt Bargeld, Ausweise, Kreditkarten, Kamera, Handy von Opa und Autozündschlüssel), gab es vorerst keine weiteren größeren Schäden!!!! Die Kleinen waren ob des verloren gegangenen Zündschlüssels verzweifelt. Wie sollte man denn nach hause kommen? Opa war Seelsorger und Hoffnungsträger in einer Person.

Nun machten wir uns auf den Weg zum Ausgangs-/Endpunkt unserer Expedition nach Rothenburg (ca. 1 km durch den Wald), ohne zu wissen, wie wir an die im Auto verbliebene trockene Wäsche kommen sollten. Wir liefen einfach los, um wieder auf Menschen zu treffen.

Die Barfüße von Maria und Richard brannten; Opa musste wieder helfend eingreifen und Richard in die Arme nehmen. Ein Glück: Das Handy von Karola war noch intakt, was sie wieder zufriedener stimmte. So konnte sie damit auch die Veranstalter über unser Missgeschick informieren und uns zum Abholen bewegen. Da wir aber bereits unterwegs waren, fand man nur das unbesetzte Boot, nicht aber die Besatzung.

Opa gab die Hoffnung nicht auf, den Rucksack in der Neiße wieder zu finden, sollte er nicht gänzlich in der Versenkung verschwunden sein. Gemeinsam mit Maria gelang es im Dauerlauf durch den Wald wieder das Neißeufer zu erreichen. Und was für ein Glücksmoment: Der Rucksack schwamm an der Wasseroberfläche. Er hielt sich noch im Schwebezustand. Es gab nur eine Entscheidung: Die wenigen verbliebenen Klamotten runter und nackt in die Neiße, um schwimmend die wertvolle Sache zu erreichen. Schwimmen war aber nicht nötig, die Neiße hatte an dieser Stelle nur Knietiefe. Opa erreichte den Rucksack in Flussmitte und hielt ihn im Adamskostüm strahlend in seinen Händen.

Nun lief es sich noch mal so leicht zum Ausgangspunkt bzw. Ziel unserer Tour. Auch eine frisch gegüllte Wiese konnte uns nicht davon abhalten, barfuß den kürzesten Weg zu wählen. Erste Handlung: Test des Zündschlüssels – alle jubeln, die Autotüren öffnen sich. So können wir warme, trockene Kleidung anlegen. Noch ein Glücksmoment: Die Heimfahrt ist gesichert. So sind Mama und Papa nicht mehr unerreichbar. Schnell noch das Abenteuer mit Neiße-Tours ausgewertet (das Boot war gar nicht leck, sondern hatte sich durch die Hecköffnung mit Wasser gefüllt – man lernt eben nicht aus), eine Bratwurst am Imbissstand verzehrt und dann ab nach Hause.

Auf der Heimfahrt gibt es einen weiteren traurigen Moment: Oma Monika stellt den Verlust ihres Eherings in den Fluten der Neiße fest. Für Tränen reicht das Unglück nicht mehr aus. Sachwerte sind halt wieder ersetzbar, nicht aber Leben und Gesundheit unserer Kleinen. Und die blieben Gott sei Dank unversehrt.

Langsam machte sich auch Unbehagen bei Oma und Opa breit: Was würden wohl die Eltern der Enkelkinder zur Risikobereitschaft der „Alten“ sagen. Die Bedenken wurden aber schnell zerstreut, denn zu hause angekommen, verursachten unsere Erzählungen über den Ablauf des Ferientages einfach nur Heiterkeitsausbrüche. Ein Ergebnis mit Spätfolgen: Maria und Richard wollen nie wieder Boot fahren.

Was blieb war nur noch das Trocknen der Geldscheine, Ausweise und Dokumente. Rettungslos verloren waren aber Opas abgesoffene elektronische Geräte (Smartphone und Digicam). Leider gibt es deshalb auch keine Bilddokumente von diesem spannenden Ereignis.

Was für eine Dramatik an diesem 20. August 2014!

Günther Gebauer, 74 Jahre

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